16. Exkurs zum Nahen Osten – Die Vier-Staaten-Lösung
von Dr. med. Manfred Nelting
Ich denke, sehr viele Menschen außerhalb des Nahen Ostens sind betroffen und bedrückt, fühlen sich gleichzeitig hilflos zu den unlösbar erscheinenden Ereignissen im Nahen Osten. Mir geht es ebenso. Aus der Ferne kann man sicherlich überhaupt nicht ermessen, was die Situation für die Menschen dort bedeutet, Hunger, Überlebensängste, Bedrohungsgefühle andauernd, Hoffnungslosigkeit, Leben sozusagen unmöglich. Eine Zwei-Staatenlösung ist seit Jahrzehnten gefordert, scheint aber kaum umsetzbar, Waffenstillstand in weiter Ferne.
Aber hier setzen meine Gedanken an, um aus der erlebten Unentrinnbarkeit im Denkbaren und im Handeln und überhaupt aus der lähmenden Bedrückung herauszukommen.
Mein Vorschlag geht dahin, eine Vier-Staaten-Lösung ins Denkbare einzuführen, und zwar neben Israel einen Kleinstaat Gaza-Palästina, einen zweiten Staat Palästina, die sich jeweils erst einmal getrennt etablieren dürfen, von der Weltgemeinschaft anerkannt. Nach dem Abtreten der Hamas, was sie ja für den Fall einer möglichen Staatengründung ankündigen und die restliche Arabische Welt auch fordert, können dort Wahlen stattfinden für eine neue Regierung.
Ebenfalls wird es Neuwahlen in Israel geben, vermutlich wird Benjamin Netanjahu als Regierungschef nicht wiedergewählt, aber jenseits von Hass, Rache und Strafe könnte er vermutlich in den USA Asyl bekommen können.
Es wird vermutlich dann eine gemäßigtere Regierung in Israel ans Ruder kommen, die Interesse an nachhaltigen Lösungen für die gesamte Region hat. Vermutlich wird sie z.B. die alten pragmatischen Friedens-Vorschläge von Ministerpräsident Ehud Olmert aus dem Jahre 2008 wieder aufnehmen.
Der Friedens-Vorschlag von Ehud Olmert
Zur Erinnerung: Israel würde die wesentlichen großen Siedlungsblöcke im Westjordanland, ungeachtet der Illegalität des israelischen Siedlungsbaus dort, behalten, eine Zwangsevakuierung der Mehrheit der israelischen Siedler würde so vermieden, und der Verlust dieses knapp 5 % des originär palästinensischen Territoriums würde kompensiert durch Abtretung Israels von Gebietsflächen in gleicher Ausdehnung an Palästina an den Grenzflächen zu Palästina.
Die geplante Siedlung E1 von Israel im Westjordanland
Die aggressive und weltweit umstrittene Siedlung E1, die Ost-Jerusalem von Palästina abschneidet und Palästina quasi durchtrennt, viele Jahre durch internationalen Druck blockiert worden war und jetzt als Vorgabe des fundamentalistischen Flügels der Regierung von Netanjahu vom Parlament beschlossen wurde, würde vermutlich von einer gemäßigteren israelischen Regierung wieder auf Eis gelegt bzw. gestoppt, im auch in Israel vorhandenen Friedenswillen und zur nachhaltigen Beendigung der Bedrohung Israels in der Region.
Spätere Vereinigung beider palästinensischer Staaten
Wenn die Palästinenser beider palästinensischer Staaten es wollen, können sie sich ja zu einem Staat später vereinen und die Menschen in einem dann beruhigten Nahen Osten zu Land und zu Luft gut zueinanderkommen, ggf. miteinander durch eine Brücke über Land verbunden, wie im Frieden zwischen Armenien und Aserbeidschan für die beiden aserbeidschanischen Landflächen angedacht.
Eine solche Brücke könnte z.B. als Magnet-Schwebebahn von z.B. Deutschland gemeinsam mit China gebaut werden, die Entfernung von Gaza-Stadt bis ins südliche Palästina sind noch nicht einmal 100 km, die Reisezeit wäre dann 10 bis 15 Minuten, eine gute Basis für ein gemeinsames Staatsgebilde.
Der vierte Staat in der Region
Der vierte Staat könnte ein unabhängiger Stadtstaat Jerusalem sein, als Symbol und Oase des Welt-Friedens, eines Ortes aller Religionen der Welt, die der Welt zeigen, dass auch bei einem für richtig erachteten Weg zu Gott oder einem kosmischen Prinzip Toleranz für die Wahrheiten anderer Menschen jeweils möglich ist. Es könnten sich dort also auch Taoisten, Buddhisten, Hinduisten und ggf. auch ein Konfuzius-Institut dort ansiedeln und die Zugänge zu allen heiligen Stätten wären frei für die jeweilige Religionsgemeinschaft.
Palästina müsste als Staat dann bereit sein, eine andere Stadt als Hauptstadt zu wählen, bei freiem Zugang zu ihren heiligen Stätten in Ostjerusalem.
Beispiel Odessa
Ich hatte 2022 in diesem Sinne eines unabhängigen Stadtstaates schon Odessa als Kristallisationspunkt für Friedens-Entwicklung ins Spiel gebracht, weil dort Menschen aus über 100 Nationalitäten und einer Vielfalt der Religionen seit langem recht friedlich miteinander leben, siehe Blog Nr. 10 hier auf neltings-welt.de. In diesem Sinne meine ich das umso mehr für Jerusalem.
In die gleiche Richtung ging mein Brief an den Hamburger Oberbürgermeister Dr. Peter Tschentscher im Jahr 2022 mit dem Vorschlag einer Erweiterung der bestehenden Hamburger Städtepartnerschaften der Hafenstädte, von Marseille und St. Petersburg auf Odessa (Blog Nr. 11 dort).
Energie-Unabhängigkeit als Basis für friedliche Entwicklung
Der Clou meiner Idee ist nun folgender: Die Weltgemeinschaft, speziell die reicheren Staaten, ggf. auch ohne die USA, gibt Geld für ein nachhaltiges Energieprojekt, dass die einzelnen Staatsgebilde unabhängig macht und Carbon-Fossilien im Boden lässt. Ich denke an Solarbasierte grüne Wasserstoff-Technologie für die Vier-Staaten, aber nachfolgend auch ausgedehnt, vorerst auf Syrien, Irak, Libanon, Jordanien und Ägypten. Der Iran und Saudi-Arabien könnten das vermutlich auch aus eigener Kraft schaffen und den irgendwann sowieso fälligen Umbau der Wirtschaft in eine carbonfreie Ökonomie so beginnen, auch wenn es vermutlich einige Jahre dafür braucht.
Geld dafür ist genug vorhanden, erstens sowieso und zweitens können die Kosten, die viele Staaten für Waffenlieferungen in diese Region aufwenden, entsprechend für solche Energie-Infrastruktur umgewidmet werden.
So ist es im Nahen Osten nicht nur sinnstiftend eingesetzt, es kann auch die Welt sehr beruhigen und ein Vorbild für andere Krisenregionen werden. Ich denke da z.B. an die Auseinandersetzungen um Trinkwasser, wo vielfach Flüsse umgeleitet werden für die Energiegewinnung mit Wasserkraft, z.B. in Äthiopien oder in der Grenzregion von Indien und China im Himalaya.
Mein Vorschlag aus 2021 zum Erdgas aus Russland
2021 bereits hatte ich für die Nutzung von North Stream II vorgeschlagen, dass man nicht Erdgas von Russland kaufen und durchleiten sollte, sondern besser in Russland investieren sollte zum Aufbau einer solchen solarbasierten Wasserstoffgewinnung und den Wasserstoff, transportfähig umgewandelt, z.B. als Methan, dann durch North Stream II nach Europa leiten könnte (siehe auch mein Buch „Einsicht in Unerhörtes“, S. 506 ff.).
Sollte nach der Sprengung der Pipelines eine Reparatur zukünftig doch gelingen, sollte von Deutschland aus darauf gedrungen werden, ein solches völkerverständigendes Projekt umzusetzen, statt den zunehmend aus der Zeit gefallenen nicht zukunftsfähigen Carbon-Unsinn wieder aufzunehmen und weiterzuführen.
Denn die Menge Erdöl, die wir in der heutigen Zeit für langlebige Produkte und spezielle Chemikalien im Alltag oder in der Medizintechnik brauchen ist ja im Vergleich zum aktuellen Verbrauch in der Welt gering. Und Plastik sollte man letztlich nur für Produkte herstellen, für die solches Material tatsächlich notwendig ist und die man Jahrzehnte nutzen kann.
Fazit
In diesem Sinne hoffe ich darauf, dass diese Gedanken, vielfältig Resonanz finden, zumindest erst einmal Denkblockaden aufheben können.
Ich halte das nicht für eine Träumerei, in einer sich abzeichnenden multipolaren Welt wird sich die Staatengemeinschaft zunehmend auf neue Lösungsansätze und neue passende Regeln hineinentwickeln.
Es besteht dann wirklich auch die Chance der Aufarbeitung der Traumata wie in Südafrika, Hass, Rache und Strafe werden allmählich, ggf. generationenübergreifend ihre Kraft verlieren. Das Öl wird dann nicht mehr kriegerische Auseinandersetzungen fördern und mit eigener Energie können sich die einzelnen Staaten dann wirtschaftlich umbauen, auf der Grundlage der Energie-Autarkie sich selbst versorgen und Produkte auch für den Handel als Ersatz für den Öl- und Gas-Verkauf erzeugen, sich aus sich selbst heraus gut entwickeln.
Die Bodenschätze können auf diesem Weg allmählich zum Welterbe werden und wie gesagt vielfach im Boden bleiben (siehe auch Peter Sloterdijk, „Die Reue des Prometheus – Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“, edition suhrkamp, 2023).
Inspiriert worden zu diesen Gedanken bin ich durch ein Gespräch vor vielen Jahren von Freunden, die im Verein „Oase des Weltfriedens“ in Bühl mitarbeiten. Das Projekt wartet noch auf seine Umsetzung, aber es lohnt sich, ihre Internetseite in Ruhe einmal anzuschauen. In dieser Grenzregion von Frankreich und Deutschland, repräsentiert im Sinne der Völkerfreundschaft ehemals verfeindeter Völker durch die Europabrücke zwischen Kehl und Strasbourg, könnte dort in der Nähe bald ein solches spirituelles Zentrum des Weltfriedens für alle Menschen entstehen.
Jerusalem, aber auch Odessa könnten folgen oder schon jetzt als Oasen des Weltfriedens vorangehen. Weitere friedensbereite Orte werden diese Projekte sicherlich aufnehmen.
Dies sind Gedanken aus meinem neuen Buch „Demokratie, Gesundheit, Bargeld – bedrohte Arten!?“, an dem ich gerade schreibe. Ein Veröffentlichungstermin steht noch nicht, aber ich möchte mit diesem Auszug einen solchen Impuls bereits jetzt geben.
Ich sage auf neltings-welt.de/aktuelles Bescheid, wenn das Buch erscheint.
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