10. Odessa – Kristallisationskern einer eurasischen Neuordnung im Friedensprozess

von Dr. med. Manfred Nelting

Die Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine ist auch in Deutschland beschlossen und wird zunehmend von mehreren europäischen Staaten sowie Großbritannien, USA und Kanada stattfinden. Das ist die Realität, es bleibt unklar, ob dies den Krieg prolongiert, möglicherweise eskalieren lässt, und das Leid und das Sterben von Zivilbevölkerung vermehrt oder dies schneller zu Friedensverhandlungen, weniger Toten und einem Ende des Krieges führen wird.

Es herrscht die Sichtweise vor, dass durch die Waffenlieferungen die Integrität der Ukraine wieder hergestellt werden könnte und auf diese Weise Putin zu Friedensverhandlungen gezwungen werden müsse und könne. Unabhängig davon, ob diese Ansicht geteilt wird, wird dieser Weg jetzt von dem Westen an der Seite der Ukraine beschritten und insbesondere von den angloamerikanischen Ländern forciert.

Es hat sich dabei ein medial präsentierter Mainstream herausgebildet, der die Ablehnung der Lieferung schwerer Waffen moralisch abstraft und als Unterstützung des Verbrechens dieses Angriffskrieges erklärt. Stimmen, die Frieden anders ermöglichen wollen, erleben einen abschreckenden Gegenwind, der viele verstummen lässt. Es gibt nur ‚entweder – oder‘. Es haben sich jetzt aber Prominente mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz gewandt, in dem sie sich gegen Waffenlieferungen aussprechen, rasch gefolgt von einem offenen Brief für Waffenlieferungen.

Aber, wenn es Frieden geben soll, muss man auch Frieden denken können. Es braucht ein ‚sowohl als auch‘, ohne welches ein Eskalationspotential kaum balanciert werden kann.

Hier soll ein möglicher Weg zum Frieden gezeigt werden, der zwar vordergründig utopisch wirkt, aber utopisch heißt nicht unmöglich, sondern ist das, was noch nicht seinen Ort gefunden hat. Es braucht also einen tatsächlichen Kristallisationskern, den ich hier skizzieren möchte. Es handelt sich um eine andere Ebene, die zwar zur Kenntnis nimmt, dass hier ein zunehmender Waffengang stattfindet, aber den Übergang von der konfrontativen Gestaltung zu kooperativer Gestaltung in eine win-win-Situation denkbar machen und dabei die Hegemonialinteressen mit Blockbildung verlassen möchte.

Es handelt sich also um eine Skizze eines eurasischen Lebensraumes vieler Völker, die von der heutigen Lage bei der Frage der Verwirklichung ausgeht, auch wenn sich dies nach 1990 mehrfach mit damals besseren Chancen nahegelegt hatte. Dies konnte nicht umgesetzt werden, weil Interessenlagen dagegenstanden und der Wille zur Kooperation noch nicht gestärkt wurde.

Ich sehe hier die Stadt Odessa, ggf. auch die Region Odessa als Kristallisationspunkt. Dies hat auch durchaus die Absicht, eine durchgehende Annexion der Ostgebiete der Ukraine im Süden bis Transnistrien unter Einschluss von Odessa durch Russland zu verhindern, um eine Chance zu haben aus der Blockbildung herauszukommen. Dies erfordert baldiges, kluges und friedvolles Handeln. Vermutlich braucht Odessa bis dahin realistischerweise in den nächsten Wochen vorerst noch weiterhin eine gute Raketenabwehr, damit dort schweres Leid vermieden wird und die hier beschriebene Utopie eine realistische Chance bekommt.

Die Idee in 9 Punkten:

  1. Bildung einer unabhängigen neutralen Stadt/Stadtstaates Odessa nach Regeln der UN
  2. Errichtung einer städtischen, eigenen, unabhängigen Energieversorgung der Stadt auf Grundlage von regenerativer Wasserstoff-Technologie
  3. Stadtweiterentwicklung zum Kristallisationskern und Vorbild eines eurasischen Lebensraumes
  4. Überwindung der Notwendigkeit von Blockzugehörigkeiten ehemaliger Sowjet-Staaten wie Ukraine, Moldau, Georgien sowie inzwischen gebildeter Volksrepubliken wie Abchasien, Südossetien Luhansk, Donezk, Transnistrien, ggf. später auch der Krim durch konkrete Gestaltung und Einbezug in eine neue eurasische Lebensraumordnung, also eine kooperative Gestaltungs-Initiative für die Konstruktion eines eurasischen Lebensraumes von Europa, Russland und den blockfreien Staaten der Region, ehemaliger Sowjetrepubliken und entstandener kleiner Volksrepubliken
  5. Errichtung einer Energieversorgung in der Ukraine auf der Basis regenerativer Wasserstoff-Technologie, wie schon mit Deutschland vorvereinbart, desgleichen mit Russland, um über Nord Stream II Wasserstoff in geeigneter Form nach Deutschland bzw. Europa zu leiten
  6. Neue Initiative für Abrüstungsverhandlungen zwischen Amerika und Russland, unter Einbezug von China. Begrenzung der Aktivitäten der Nato im Zuge der Friedens-kommunikation mit Russland mit dem Ziel der Überwindung von Blockbildung und Reduktion der Angst der osteuropäischen Staaten vor einer Aggression von Russland durch neue Erfahrungen in konkreten Friedens-Projekten und Fortschritt in den Friedensverhandlungen
  7. Freundschaftliche Emanzipation der EU von den USA unter allmählichem Rückzug der USA aus der Nato bei Fortschritt der Abrüstungsverhandlungen mit gemeinsamen Interessen von EU und USA, Russland nicht zu schwächen, sondern gerade bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu unterstützen
  8. Mit Einrichtung eines eurasischen Lebensraumes Auflösung der Nato in Ermangelung des Feindes
  9. Aufarbeitung der Kriegstraumata nach dem Vorbild Südafrikas im Sinne der Versöhnung von Opfern und Tätern (Nelson Mandela, Desmond Tutu) bei der allerdings noch unvollendeten gemeinsamen Aufarbeitung der Traumata aus der Apartheid-Zeit mit dem Ziel im Zusammenleben zunehmend zu verzeihen und den oft instinktiven Impulsen nach Rache zu widerstehen. Dies entspricht auch den Erfahrungen in unseren Kliniken aus der Behandlung von Trauma-Folgestörungen und transgenerational wirkenden Kriegstraumata.

 

Ich möchte mit diesem 9-Punkte-Programm erreichen, dass viele Menschen wieder Frieden denken können/lernen und viele dies mit aktiver Begeisterung handelnd aufgreifen. Ich möchte die Gedanken zur Umsetzung jetzt erläutern mit meinen Vorschlägen. Ich verstehe nicht viel von international wirksamer Kommunikation und Diplomatie und hoffe, dass hierfür geeignete Fachleute diese Ideen mit Begeisterung aufgreifen. Ich habe aber viel Lebens-Erfahrung bei der realen Umsetzung sogenannter Utopien, weiß, dass sie nicht verordnet werden können, vielmehr von Herzen kommen müssen und dass dies gelingt, wenn die rechte Zeit (griech. Kairos) gekommen ist. Diese Zeit scheint mir jetzt da zu sein, die Menschen möchten aus ihren Ängsten vor Krieg und gerade aus Kriegsleid herauskommen und sind, wenn einige beherzte und gestaltungsfähige Menschen die Sache in die Hand nehmen, zunehmend friedensbereit. Und wie wichtig ist es doch, dass jede/r Einzelne zum Frieden in sich selbst kommt. Man vergisst leicht, dass solch geistig liebevolle neutrale Haltung von vielen gemeinsam den Boden für Frieden mitbereitet.

Wer dieses Unterfangen für naiv hält, hat 1. recht und ignoriert 2. die Tatsache, dass überwuchernde Bedenken die Kraft und Energie schwächen, das Wagnis einzugehen, überhaupt loszugehen. Für den Frieden macht es allemal Sinn es zu versuchen. Und der Sänger Sting besingt hier hilfreich die menschliche Grundtatsache, gibt seiner Hoffnung Ausdruck „the Russians love their children too“, die Dire Straits sangen „brothers in arms“, was in diesem Konflikt ja auf bizarre Weise zutreffend ist.

Meine Vorschläge können sich weiterentwickeln, kreative Menschen mit der Fähigkeit Paradoxes auf neuen Ebenen zu denken und zusammenzubringen werden hier die Dinge reifen lassen und fruchtbar und vielleicht noch passender umsetzen können.

Meine Gedanken zur Umsetzung:

Zu 1. Odessa ist eine Stadt mit Bürgern aus über 100 Nationen. Sie hat als Stadt und auch historisch mit den ursprünglichen Ansiedlungen dort eine extrem wechselvolle Geschichte unter der Herrschaft verschiedenster Völker. In Odessa ist jetzt wieder und auch bereits seit Jahrhunderten ein weltoffenes Zusammenleben von Bürgern unterschiedlicher Herkunft Normalität, ebenso herrscht hier eine ausgeprägte Religionsfreiheit, insofern ist Odessa als ein Kristallisationspunkt einer neuen eurasischen Struktur sehr geeignet. Dafür ist es zielführend, dass Odessa eine freie unabhängige Stadt bzw. Region wird, in der Ukraine oder ganz selbstständig, diese Entwicklung zu einer neuen Friedensordnung wird bei den Bürgern der Stadt beworben, um ihre Zustimmung zu erreichen. Ebenfalls soll dies mit Präsident Selenskyj und mit Präsident Putin im Rahmen der für beide vorteilhaften eurasischen Neuordnung in den baldigen Friedensgesprächen verhandelt werden.

Zu 2. Es wird sofort eine eigene unabhängige Energie-Versorgung mit Wasserstoff aus regenerativen Quellen aufgebaut, finanziert aus einmaligen Zahlungsbeiträgen zahlungsfähiger Staaten aus dem eurasischen Raum. Beispielsweise kann Deutschland sein Sondervermögen zum Ausbau der Bundeswehr auf 80 Milliarden reduzieren und 20 Milliarden für diesen Sofort-Prozess zur Verfügung stellen, andere Staaten ebenso.

Zu 3. Um als Kristallisationskern zu dienen, muss Odessa für höchste Lebensqualität stehen. Die Lebensqualität in Odessa ist bereits hoch und kann für diese Zwecke weiterentwickelt werden. Insbesondere im sozialen Bereich gibt es auch in Odessa wichtige Aufgaben für bessere Lebensqualität auch der unteren, ärmeren sozialen Schichten z.B. bei der Gesundheitsversorgung.

Hier einige vermutlich zukünftig sinnvolle Entwicklungslinien:

Die Stadtverwaltung kann im Interesse der Unabhängigkeit digital z.B. Open Source-Quellen nutzen und hierbei auf Erfahrungen von Barcelona zurückgreifen. Zur Anwendung kann im Interesse der Eindämmung noch vorhandener Korruption auch die Blockchain-Technologie kommen, hier kann das Baltikum, speziell Estland, das die meisten Erfahrungen damit hat, beraten.

Dabei dient die Digitalisierung den Menschen nur, wenn die analog-digitale Balance und möglichst weitgehende Selbststeuerung der einzelnen Menschen existiert und funktioniert. In diesem Sinne braucht es auch die analoge, breite und offene Kulturlandschaft, die bereits existiert und weiter gefördert werden soll, insbesondere auch die Parks zur konkreten Begegnung-Möglichkeit der Bürger. Aber hierfür hat Odessa die besten Voraussetzungen mit seiner offenen Lebensart.

Auch die stadtteilbezogene Wohnqualität trägt zu dieser Balance bei, es existieren dabei in Odessa ja schon historisch Siedlungen von Deutschen, Bulgaren, Griechen, Schweden und anderen, wobei die Volksgruppen hier immer schon in gutem Kontakt sind. Ggf. können Erfahrungen von Barcelona zur Entwicklung von Stadtteilen, aber auch von Wien, Vancouver und Kopenhagen genutzt werden.

In der Stadt werden sowieso viele Sprachen gesprochen, nach schweizerischem Vorbild und aus historischen Gründen könnten Verordnungen in 4 Sprachen gegeben werden, vorschlagsweise ukrainisch, russisch, französisch und deutsch. Zusätzlich sollten diese aus historischen Gründen auch in griechisch und türkisch verfügbar sein und für den internationalen Austausch auch in englisch, Straßenschilder in ukrainisch und russisch. Sieben Sprachen entsprechen der Zahl 7 in dem Begriff „Jedisan“ (bedeutet u.a. ‚7 Flaggen‘), der vor mehreren Jahrhunderten lange für diese Gegend galt.

Hier eine kurze geschichtliche Anmerkung um sich in diese wechselvolle und bereits internationale Geschichte von Odessa einfühlen zu können:

Geschichtlich war diese Odessa-Region bereits sehr früh von griechischen Siedlern gegründet worden unter dem damaligen Namen Boristhenes. Ab dem 14. Jahrhundert war die Region unter der Herrschaft des Großfürstentums Litauen, danach unter dem Khanat der Krim, bevor sie ins Osmanische Reich überging. 1787 erklärte der türkische Sultan Russland den Krieg wegen der damaligen Annexion der Krim. 1792 wurde diese Region im Frieden von Jassy Russland zugesprochen und 1794 gab die russische Zarin Katharina die Große den Auftrag zur Gründung der Stadt Odessa. Französische Adlige aus dem russischen Staatswesen sowie der Armee, aber auch viele deutsche Kaufleute entwickelten die Stadt, griechische in Odessa ansässige Getreidehändler finanzierten später viele öffentliche Bauten. Die ukrainische Volksrepublik wurde dann 1917 nach der Oktoberrevolution erstmals kurzfristig ein unabhängiger Staat, bald darauf aber von der Roten Armee kontrolliert. Dann mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk wurde die Ukraine erneut kurzfristig unabhängig, aber unter das Protektorat des deutschen Kaiserreichs gestellt, das mit dem Friedensvertrag von Versailles aber alsbald von der Völkergemeinschaft isoliert wurde. Kurz danach wurde die Ukraine in die Sowjetunion eingegliedert. Im zweiten Weltkrieg gehörte ‚Jedisan‘ kurz zu dem von Rumänien beherrschten Transnistrien, wurde aber bald wieder von der Sowjetunion zurückerobert. 1991 nach der Auflösung der Sowjetunion war die Ukraine dann wieder ein souveräner Staat. Die Annexion der Krim erfolgte im März 2014 nach den vorangegangenen Maidan-Ereignissen. Im August 2014 dann begannen die kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbass mit auch interventionistischen Handlungen Russlands. Die Zuspitzung der Ereignisse 2021/22 mit dem Einmarsch/Angriffskrieg Russlands/Putins in die Ukraine ist bekannt.

Zu 4. Diese neu gedachte Struktur und Gestaltung eines eurasischen Lebensraumes kann die hegemoniale Blockbildung überwinden. Es kommt dann im Weiteren nicht mehr darauf an, ob die Ukraine, Georgien, Moldau in den westlichen Block gezogen werden sollen, ebenso nicht, dass georgische und ukrainische Volksrepubliken oder auch Transnistrien sich für die Integration in den russischen Block ‚entscheiden‘. Sie können in einem Autonomiestatus oder als kleine Republiken ihren guten und sicheren Platz in der neuen Struktur finden. Die Krimregion müsste in dieser Neuordnung gar nicht ‚zurückerobert‘ werden, könnte ggf. als Friedens-Alternative und -Angebot ebenfalls autonom werden. Die EU, Russland, die Ukraine und andere bisher blockfreie Staaten bilden so einen eurasischen Lebensraum, vielleicht als föderale Republik, vielleicht als freundschaftlicher Handelsraum vieler autonomer Regionen.                                                                     Der in Hamburg ansässige unabhängige Weltzukunftsrat (WFC) hat eine hervorragende Expertise zu gut funktionierenden Gesetzen aus der ganzen Welt zusammengetragen. Er kann hier beratend zur weiteren Entwicklung Odessas und dem eurasischen Lebensraum zur Seite stehen, unabhängig und ethisch anerkanntermaßen mit großer Verantwortung, Neutralität, Beachtung aller Seiten bei Konflikten und wirksam in der Kommunikation zur Umsetzung der jeweiligen Projekte.

Zu 5. Dies braucht Entwicklungszeit und starke Anreize. Deutschland und die Ukraine bauen in der Ukraine, wie schon in Aussicht gestellt, und Deutschland und Russland in Russland eine neue Energieversorgung mit regenerativer Wasserstoff-Gewinnung auf und leiten sie in geeigneter Form durch die durch die Ukraine verlaufende Gas-Pipeline sowie durch Nord-Stream II. Deutschland versorgt auf diesem Weg vorerst auch Polen, damit dort Ängste abgebaut werden können mit dem Ziel, auch über die anderen Gasleitungen aus Russland später die Wasserstoff-Technologien zu nutzen. Mit Russland wird vereinbart, das Erdgas nicht anderweitig umzuleiten, sondern die Förderung von Erdgas im Interesse einer günstigen Entwicklung des Weltklimas sukzessive zu reduzieren. Die Erlöse kommen dann aus der Bereitstellung von Wasserstoff.

Die Punkte 6. – 9. sprechen für sich und werden von entsprechend erfahrenen Fachleuten in internationaler Diplomatie und Friedensverhandlungen bzw. Trauma-Heilung aufgegriffen.

Kontakte und Koordination der Reaktionen und Vorschläge vorerst über unsere Familienseite www.neltings-welt.de mit der Email-Adresse: info@neltings-welt.de . Wir hoffen, dass hierfür bald, unterstützt von Experten, eine eigene Internetseite in mehreren Sprachen zur Verfügung steht.

Dieser Artikel ist die Fortführung meines Blogbeitrags vom 11.3.2022 „Krieg in Europa“.

Mit dem Wunsch friedensförderlicher Resonanz danke ich Ihnen für Ihr interessiertes Lesen.

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