2. Corona-Impfungen bei 12-15-Jährigen?

von Dr. med. Manfred Nelting

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat den Corona-Impfstoff von BionTech/Pfizer für Kinder und Jugendliche von 12- 15 Jahren vorläufig zugelassen, die Stiko (Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts) hat aber schon signalisiert, dass sie die Impfung nur für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen empfehlen wird, also keine generelle Impfempfehlung für diese Altersgruppe aussprechen wird.

 

Die Bundesregierung hebt zum 7.Juni 2021 die Impf-Priorisierung auf, d.h. ab dann dürfen Ärzte auch diese Kinder und Jugendlichen von 12-15 Jahren impfen. Gleichzeitig teilt sie mit, dass nicht genügend Impfstoff vorhanden ist und auch noch nicht alle gefährdeten Erwachsenen geimpft sind.

Das hat zu einer Verunsicherung vieler Eltern geführt, daher hier schon einmal ein Kompass zur Orientierung:

  1. Die EMA hat ihre Entscheidung anhand der vorgelegten Studien von BionTech/Pfizer getroffen. In diesen Studien mit einer noch begrenzten Studien-Zahl von Kindern über eine Zeit von nur einigen Monaten sind keine bedeutenden Nebenwirkungen aufgefallen und die Immunisierungs-Wirkung war gut.
  2. Die Stiko meint, die Zahl der Kinder in den Untersuchungen sei noch nicht ausreichend groß und der Zeitraum der Studien nicht ausreichend lang um den tatsächlichen Nutzen und ein ggf. erkanntes Risiko gegeneinander abwägen zu können. Dafür ist es aber wichtig auch eventuelle seltene Neben- und Folgewirkungen der Impfung zu erfassen, weil die 12 bis 15-Jährigen eben viel seltener und sehr selten schwer erkranken: In der gesamten Corona-Pandemie über die 15 Monate bis heute sind in dieser Altersgruppe 4 Kinder gestorben. Möglicherweise hatten diese 4 Kinder auch Vorerkrankungen oder waren z.B. traumatisiert, was das Immunsystem schwächen kann. Darüber habe ich aktuell aber noch keine Informationen.
  3. Angesichts dieses geringen Risikos haben auch eventuelle seltene Nebenwirkungen der Impfung, die in der nächsten Zeit erkannt werden könnten, eine wichtige Bedeutung. Insofern wird die Stiko voraussichtlich die Impfung konkret vorerst nur für chronisch kranke Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe empfehlen.
  4. Ungeimpfte gesunde Kinder und Jugendliche stellen kein großes Risiko für die Gesellschaft dar, wenn sie sich mit Corona infizieren, denn die vielen wissenschaftlichen Untersuchungen haben übereinstimmend ergeben, dass Kinder und Jugendliche nicht die Pandemie-Treiber sind, sondern sich meist von Erwachsenen her anstecken. Die nachgewiesenen Ansteckungen z.B. in Schulen sind zudem äußerst gering.
  5. Da Kinder nicht wesentlich zum Infektionsgeschehen beitragen, spielen sie auch keine wesentliche Rolle bei der sogenannten Herdenimmunität. Für diesen Zweck darf man sie also keinesfalls als zusätzliche Impflinge ‚benutzen‘.
  6. Aufgrund des geringen Risikos einer schwereren Corona-Infektion ist ein Nutzen der Impfung für das einzelne Kind bisher nicht abzuleiten. Es kann eine Impfung bei Kindern aber im Rahmen der weit verbreiteten Ängste bei Kindern und insbesondere ihren Eltern, dass die Kinder schwer erkranken könnten, zu einer Angstminderung beitragen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Impf-Notwendigkeit, sondern um eine im Einzelfall ggf. durchaus berechtigte Beruhigung der jeweils eigenen Ängste. Diese Beruhigung sollte in der Regel allerdings besser durch Aufklärung seitens der befragten Haus- und Kinder-Ärzte erreicht werden können, eine nicht notwendige Impfung ist dafür letztlich nur in Einzelfällen sachlich begründbar. Die letzte Entscheidung darüber liegt bei den Eltern.
  7. Eltern brauchen also keine Angst um ihre gesunden Kinder haben, wenn es aufgrund des Impfstoffmangels noch eine Zeit lang dauert, bis sie geimpft werden könnten. Sie können insofern ohne Gefährdung ihrer gesunden Kinder noch abwarten, bis mehr Informationen über die Impfung bekannt sind, z.B. durch die Auswertung der zahlenmäßig umfangreichen Impfungen in diesem Alter in den USA. Sie können danach zusammen mit ihren Ärzten besser entscheiden, ob ihr gesundes Kind geimpft werden sollte oder nicht.
  8. Eltern wurden auch verunsichert, da in den Nachrichten über die seltenen Kawasaki-Syndrom ähnlichen Erkrankungen bei Kindern berichtet wurde, bei denen vereinzelt auch ein positiver Corona-Test gefunden. Dies wurde in der Folgezeit als PIMS-Syndrom (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) ärztlicherseits als eigenständige Verlaufsform angesehen. Bei dieser sehr seltenen schweren Verlaufsform kommt es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, oft zeitlich verzögert einige Wochen nach einer Corona-Infektion, die in der Regel gut behandelt werden kann und gut ausheilt.

Die Gesamt-Zahl dieser Verlaufsform bei Kindern und Jugendlichen in der Pandemie in Deutschland wird mit 250 bis 300 Fälle angenommen, aktuell wird ein Register an der Uni Dresden hierfür angelegt. Diese Verlaufsform ist also sehr selten und in Deutschland sind dadurch keine Kinder gestorben.

  1. Ebenfalls Verunsicherung haben auch Informationen zu später auftretenden, langzeitigen Folgewirkungen der Corona-Infektion ausgelöst, genannt ‚Long-Covid‘. Hierüber werden in den Medien Politiker zitiert, die z.T. sehr hohe Zahlen von einigen hunderttausend Menschen mit Long-Covid in Deutschland erwarten.

Tatsächlich liegen diesen Zahlen aber Sorgen und Vermutungen zugrunde, keine gesicherten wissenschaftlichen Daten. Die wenigen Studien hierzu lassen eine solche Aussage nicht zu, die entsprechend genannten mathematischen Modellierungen sind wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Was wir wissen ist, dass das Risiko für Kinder, schwer an Covid-19 zu erkranken, extrem gering ist. Und über Langzeitfolgen von Covid-19-Erkrankungen bei Kindern wissen wir sehr wenig, Stiko-Chef Thomas Mertens hält es momentan für eine „Instrumentalisierung einer Sorge“, das Krankheitsbild Long Covid als Argument für eine Impfung heranzuziehen.

Verlässliche Zahlen zu Long Covid existieren nicht, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen. Aktuell wird versucht eine Wissensbasis, ein Register, aufzubauen. Dabei ist die medizinische Definition, wann man eine vemutete Long Covid-Erkrankung als solche verifiziert, noch nicht einmal klar. Die Wahrscheinlichkeit, dass viele der bei Kindern als Long Covid angenommenen Fälle nicht als Virusfolge zu interpretieren ist, sondern als psychische/psychosomatische Reaktion auf Ängste und Folgen von Lockdown und Schließungen von Schule und Freizeiteinrichtungen, ist sehr groß. Die psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen waren schon vor der Pandemie sehr hoch (jedes vierte Schulkind), jetzt in der Pandemie sehen wir dies bei jedem dritten Kind. Siehe auch meine vorherige Schrift „Kinder in der Pandemie“.

 

Resümee

Die Eltern müssen aufgrund der Impfstoffknappheit bis auf die Ausnahmen bei chronisch kranken Kindern sicherlich noch bis zum ausgehenden Sommer, also in der Regel nach den Sommerferien warten, bis sie einen Impftermin für ihre 12-15-jährigen Kinder erhalten können. Diese Wartezeit ist bezüglich des Erkrankungsrisikos an Covid-19 aus wissenschaftlicher Sicht für die Kinder nicht gefährlich, wie ich oben beschrieben habe. Innerhalb des nächsten Vierteljahres wird intensiv weitergeforscht und dann werden voraussichtlich viele Daten zu Nutzen und Risiken einer Corona-Impfung für Kinder vorliegen. Dann können Eltern gut entscheiden, ob sie Ihre gesunden Kinder impfen lassen wollen oder nicht. Beide mögliche Entscheidungen können gute und verantwortungsvolle Entscheidungen sein nach dem dann vorhandenen Wissen und Aufklärung und Beratung durch die Haus- und Kinderärzte. Die Eltern untereinander sollten sich bezüglich ihrer Entscheidungen tolerant begegnen, Lehrer sollten sich bei Vorerkrankungen bzw. eigener Erkrankungssorge ggf. impfen lassen und eigene Lebenspflege betreiben, z.B. mit Achtsamkeits-Methoden wie QiGong, Meditation oder der auch für den Schulsport sinnvollen und wichtigen Ballspielart TaiJi-Bailong-Ball (www.taijiball.com). Von der gesicherten Wirkung von Achtsamkeitsverfahren auf die Immunstärkung ist kürzlich in einer Übersichtsarbeit der bekannten Universitäten MIT und Harvard aus den USA berichtet worden. Eine Impf-Pflicht für Kinder und Jugendliche besteht in Deutschland nicht und der Schulbesuch wird nicht von einer Impfung abhängig gemacht.

Ein Hinweis: Das Immunsystem ist bei Kindern erst mit etwa 12 Jahren weitgehend ausgereift, insbesondere die sogenannten ACE-2-Eiweißbausteine der Zelloberflächen als Andockstellen auch für das Sars-CoV-2-Virus sind bei jüngeren Kindern noch nicht voll entwickelt. Unter anderem daher sind jüngere Kinder auch weniger gefährdet, sich mit diesem Virus zu infizieren. Das Virus kann, weil es wegen der mangelnden Andockstellen nicht gut in die Zellen kommt, sich so auch schwer weitervermehren, insofern entsteht keine zunehmende Viruslast und die Infektiosität der Kinder ist bei Ansteckung begrenzt.

Die Schulen sollten angesichts des derzeitigen Wissens um das Infektionsgeschehen und die psychischen Folgen von Schulschließungen auch keinesfalls wieder geschlossen werden, falls Corona-Inzidenzen im Herbst wieder ansteigen sollten. Schulschließungen aufgrund ggf. fehlender Durchimpfung von Schülern und Jugendlichen ist medizinisch nicht begründbar.

Vielmehr ist über den Sommer hin dafür Sorge zu tragen, dass die Schulräume gute Be- und Entlüftung bekommen, gute Konzepte für Unterricht im Freien entwickelt werden und sinnvolle Hygieneregeln möglich werden. Wenn es ohne soziale Benachteiligung umsetzbar ist, können auch digitale Unterrichtskonzepte eingesetzt werden. Eltern sollten zukünftig keinesfalls für ein Homescooling bereit stehen müssen.

Ich hoffe, dass Eltern mit diesen Informationen nun aus ihrer Verunsicherung herauskommen können und damit einen guten Kompass für ihr verantwortungsvolles kindgerechtes Handeln in ihren Händen haben.

Autor: Manfred Nelting

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